Tierwohl - Ein Konzept für alle?

Donnerstag, 6. April 2023


Autor: Dr. Johann Schlederer

Tierwohl-Schweine – ein Konzept für alle?

2022 war wohl das herausforderndste Jahr für die Schweinebranche zum Thema Tierhaltungsgesetzgebung. Bekanntlich stand das Verbot der Vollspaltenhaltung zur Debatte. Dass es letztlich „nur“ zu einem Verbot von unstrukturierten Vollspaltenbuchten kam, ist unter anderem auch dem sogenannten „Masterplan Schweinehaltung“ zu verdanken, welcher vorsieht, dass im Laufe der nächsten 10 Jahre 1 Mio. Schweine aus sogenannten Tierwohlhaltungsformen produziert werden sollen. Zur Erreichung dieses Zieles muss allerdings eine Vervierfachung des aktuellen, bestehenden Umfanges gelingen. Eine echte Herausforderung!

Der Transformationsprozess bei Schweinehaltungssystemen ist seit 2013 im Gange. Damals wurde die Bewegungsbucht im Abferkelbereich politisch besiegelt, ab 2033 sind herkömmliche Abferkelbuchten verboten. Es folgte das Verbot des Fixierens von Sauen während der Trächtigkeit und letztes Jahr standen Ferkelaufzucht und Schweinemast im Fokus der politischen Auseinandersetzung. Im Wesentlichen ging es um mehr Platz je Tier und eine strukturierte Bodenbeschaffenheit, die den Tieren eine Trennung zwischen Liege- und Aktivitätsbereich ermöglicht. Während für Neubauten die Anforderungen bereits in Kraft getreten sind, gelang es für bestehende Stallungen mittels langer Übergangsfristen einen vernünftigen Kompromiss zu erzielen, um nicht vorzeitige Betriebsstilllegungen zur provozieren und die heimische Schweinefleischversorgung aufrecht erhalten zu können.

Tierwohlbegriff beginnt erst ab TW60
Während die oben beschriebenen Rahmenbedingungen für die konventionelle Schweinehaltung gilt, liegen Anforderungen freiwilliger Programme über gesetzlich definierten Kriterien. Die Basisstufe des AMA-Gütesiegels (ca. 50 % der AT-Produktion) schreibt beispielsweise seit April letzten Jahres - nebst anderen Kriterien - 10 % mehr Platz im Maststall vor und seit 2017 hat die AMA-Marketing das Modul „Besondere Tierhaltung“ (Stroh und 60 % mehr Platz, entspricht heute dem Modul TW60) eingeführt. Mit dieser Bezeichnung wurde de facto die Trennlinie zwischen konventioneller und Tierwohlhaltung gezogen, wobei der inzwischen gängige Begriff „Tierwohl“ aus dem deutschen Programm „Initiative Tierwohl“ übernommen wurde.

Weil aber zwischen den Haltungskriterien für TW60 und den hohen Anforderungen für die Bio-Schweinehaltung eine große Bandbreite an definierbaren Kriterien offen blieb, kristallisierte sich am Markt eine zusätzliche Tierwohlkategorie mit der Bezeichnung TW100 heraus. Neben dem höheren Platzangebot von 60 % bzw. 100 % - mehr als gesetzlich vorgeschrieben - verlangen die Tierwohlmodelle getrennte Liegeflächen mit Stroheinstreu und teilweise befestigte Böden sowie bei TW100 zusätzlich fix vorgeschrieben der Auslauf ins Freie und die Einbeziehung der Ferkelhaltung, d.h. Narkosekastration und Schwanz-Kupierverbot. Obendrein gilt bei TW100 eine komplett gentechnikfreie Fütterung und zertifizierte europäische Eiweißfuttermittel.

Tierwohl treibt Produktionskosten in die Höhe
Investitionen, Betriebsmittel und Arbeitskosten liegen zum Teil deutlich über den allgemein und bisher bekannten Niveaus. Während das TW60-Programm am Markt üblicherweise mit bis zu 20 Cent/kg Schlachtgewicht für programmtaugliche Schweine abgegolten wird, hat sich im Bereich TW100 ein Zuschlag in der Größenordnung von 55 – 60/kg Cent herauskristallisiert. Inwieweit damit die Mehrkostenabdeckung gelingt, ist stark von den einzelbetrieblichen Gegebenheiten abhängig. Ebenfalls offen ist die Frage, wie aufnahmefähig der Markt für Tierwohlschweine ist. Derzeit liegen die Marktanteile bei Bio, TW60 und TW100 bei jeweils ca. 2 %.

Aktuell lassen sich die Tierwohlprogramme gut vermarkten, für die zusammengerechnet österreichweit ca. 5.000 Schweine pro Woche sind die Abnehmer - Fleischer-Fachgeschäfte, Fleischgroßhandel und Handelsketten wie Billa, Spar und Hofer bereit, die erforderlichen Aufschläge zu bezahlen. Ungünstigerweise erschwert die aktuelle Inflationsphase das Aufspüren neuer und zusätzlicher Absatzmärkte. Auf nationaler Ebene ist jedenfalls auch die öffentliche Hand gefordert, im Rahmen der nachhaltigen Beschaffung für die öffentlichen Verpflegungseinrichtungen gezielt auch einzukaufen, was politisch von der Produktion gefordert wird.

Schweinehaltung bleibt vielseitig
Die Bandbreite zwischen gesetzlicher Mindeststandard und Bio ist groß und bleibt groß. Dazwischen haben sich im Schweinebereich drei Ebenen von klar definierten AMA-Gütesiegelprogrammen etabliert. Diese fünf Haltungsstufen sind gleichzeitig die Basis für die häufig diskutierte „Haltungskennzeichnung“. Man wird sie zukünftig brauchen, um kritischen Verbrauchern den Weg zum gewünschten Produkt zu weisen und gleichzeitig den mehrheitlichen genügsameren Konsumenten ein vergleichsweise günstigeres Schweinefleisch auf transparente Art und Weise anbieten zu können.

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